Prof. Dr. med. Gerhard Leyendecker

Die Endometriose verstehen

Obwohl die Endometriose grundsätzlich an vielen Stellen im Körper in Erscheinung treten kann, wird unter ‚Endometriose’ landläufig eine Erkrankung verstanden, die sich als Verschleppung von uteriner Schleimhaut im Bauchraum ausbreitet. Es handelt sich also um die peritoneale Endometriose, also die Endometriose, die sich auf dem Bauchfell (Pertoneum) im Bauchraum ausbreitet.

Auch die Adenomyosis uteri (die Adenomyose der Gebärmutter) gehört zu dem Krankheitsbild. Wir halten es für sinnvoll, das gesamte Krankheitsbild als Archimetrose zu bezeichnen, da es von dem Teil der Gebärmutter, der Archimetra, seinen Ausgang nimmt. Man würde dann die Erkrankung im Bauchraum als peritoneale Archimetrose und die in der Gebärmutter als uterine Archimetrose bezeichnen.

In der Öffentlichkeit (und oft auch beim medizinischen Personal durch Publikationen und Fortbildungsveranstaltungen bedingt) herrscht die Auffassung vor, dass es sich bei der peritonealen Endometriose und der uterinen Adenomyose jeweils um massive Befunde handelt, z. B. um große Eierstockszysten („Schokoladencysten“) und ausgedehnte Darmverwachsungen bei der Endometriose und um große Gebärmuttertumore bei der Adenomyose. Wie bei jeder Erkrankung, so gibt es auch bei der Endometriose/Adenomyose (Archimetrose) alle Schweregrade, die von minimalen Läsionen, über mittlere bis zu den oben genannten schweren Formen reichen. Wenn eine Klinik auf die operative Behandlung des Krankheitsbildes spezialisiert ist, dann wird sie in Publikationen und Fortbildungsveranstaltungen die eher schweren Fälle präsentieren im Gegensatz zu einem Kinderwunschzentrum, welches bei der Abklärung eines unerfüllten Kinderwunsches häufig leichtere Fälle der Erkrankung feststellt, die gleichwohl für die vorhandene Sterilität verantwortlich sind. Durch diese, vom Beschwerdebild der betroffenen Frauen verursachte Selektion des Patientinnengutes, kann man die Prävalenz der Erkrankung als solcher und die Verteilung der Schweregrade nur annähernd schätzen. Man nimmt an, dass etwa 10-15% aller jüngeren Frauen unter einer Endometriose leiden. Die Prävalenz der Endometriose nimmt bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zu. Am Ende der reproduktiven Phase ist mehr als die Hälfte aller Frauen von einer uterinen Adenomyose (und auch Endometriose) betroffen.

Unter klinischen Gesichtspunkten ist es gerechtfertigt, die peritoneale Endometriose (peritoneale Archimetrose) gesondert zu betrachten. Die korrekte Diagnose einer Endometriose wurde bisher über eine Gewebsprobe vorgenommen. Wenn die Erkrankungsherde nicht wie z. B. bei einer Vaginalendometriose offen zugänglich waren, musste eine Laparoskopie (Bauchspiegelung durchgeführt werden. Die Laparoskopie mit feingeweblicher (histologischer) Untersuchung der Probe gilt immer noch als der „Goldstandard“ der Diagnose einer Endometriose. Allerdings erlauben heute nicht-invasive bildgebende Verfahren wie die hoch auflösende transvaginale Sonographie (TVS) und die Magnetresonanztomographie (MRT) eine Diagnosestellung, wobei auch Veränderungen der Gebärmutter, die uterine Adenomyose, bei der korrekte Diagnosestellung mit berücksichtigt werden.

Auch der Tatbestand, dass sich eine Endometriose im Bauchraum weit ausbreiten, verschiedenen Bauchorgane befallen und zu erheblichen Komplikationen und gesundheitlichen Risiken mit der Folge größerer Operationen führen kann, läßt die peritoneale Endometriose, also die Erkrankung im Bauchraum, als die wesentliche Ausbreitungsform dieser Erkrankung erscheinen.

Allerdings bedeutet das Vorliegen einer Peritonealendometriose z. B. auch mit Eierstockszysten (sog. Schockoladenzysten; Endometriome) keinesfalls automatisch, dass eine Operation notwendig ist. Das vom Experten vorgeschlagene Procedere hängt von vielen Faktoren ab, die in einem Beratungsgespräch erörtert werden müssen.

Der Begriff ‚Endometriose’ ist von dem Amerikaner John A. Sampson geprägt worden und ersetzte den bis dahin gebräuchlichen Begriff ‚Adenomyome’ (der Begriff ‚Adenomyose’ d. h. ein Zustand der Gebärmutter mit vielen Adenomknoten) wurde von Oscar Frankl eiongeführt), d. h. Knoten und Herde, die aus Muskelfasern und der Gebärmutterschleimhaut ähnelnden Drüsen besteht. Diese Herde können im ganzen Körper gefunden werden, treten aber vorwiegend an bevorzugten Stellen auf, die von Thomas S. Cullen (1920) beschrieben wurden. Am häufigsten treten sie, wie oben beschrieben als Peritonealendometriose im Bauchraum, aber auch sehr häufig als uterine Adenomyose in der Gebärmutterwand auf. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Prädilektionsorte (bevorzugte Stellen) der Endometriose/Adenomyose (Archimetrose) (Modifiziert nach Cullen 1920). (1) Uterine Adenomyose; (2) Ovarialendometriose; (3) intestinale Endometriosis; (4) intestinal-uterine Adhäsion infolge eines Endometrioseherdes; (5) Herd im Lig. sacro-uterinum; (6) retrozervikale Endometriosis bzw. im Cul de sac; (7) Läsion an der  Serosa der Harnblase und der Uterusvorderwand; (8) Nabelendometriose; (9) Bauchwandendometriose; (10) inguinale Endometriose. Diese Lokalisationen weisen eine andauernde mechanische Belastung auf.

 

Die Theorienlage bezüglich der Entstehung dieser Erkrankung war bis vor wenigen Jahren sehr unübersichtlich, und auch heute noch besteht hinsichtlich ihrer Pathogenese und Pathophysiologie kein allgemeiner Konsensus.

Der Metaplasietheorie von Iwanoff (1898), Meyer (1919) und Fujii (1986) zufolge entwickelt sich Endometriosegewebe an Ort und Stelle im Bauchraum durch chronische entzündliche Irritation. Diese Theorie hat heute noch viele Anhänger als Teilaspekt einer so genannten multifaktoriellen Entstehung der Erkrankung.

Auf Sampson (1927) geht die für die peritoneale Endometriose richtige Auffassung zurück, dass sie durch eine transtubare Dissemination zustande kommt, also als eine Ausbreitung von Zellen und Gewebe der Gebärmutterschleim über die Eileiter im Bauchraum, wo diese sich einnisten und Endometrioseherde bilden. Weiterhin nahm er an, dass dieser Vorgang der Ausbreitung durch einen Rückfluss von Blut während der normalen Menstruation geschieht (retrograde Menstruation). Diese Idee hatte eine so frappante Plausibilität, dass sie sich schnell, auch von der American Fertility Society unterstützt, international ausbreitete. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde allerdings erkannt, dass die retrograde Menstruation ein physiologisches Phänomen ist, also mehr oder weiniger wohl bei allen Frauen auftritt, obwohl jedoch nur etwa 10-15% der jungen Frauen von einer Endometriose betroffen sind.

Zwischenzeitlich hatten die amerikanischen Endometriosespezialisten die uterine Adenomyose weitgehend vergessen, obwohl die Erforschung dieser gutartigen uterinen Erkrankung den Beginn der klinisch-wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Krankheitsbild der Endometriose/Adenomyose überhaupt erst begründet hatte (v. Rokitansky, 1860; v. Recklinghausen, 1896; Cullen, 1896; Kossmann 1897). Ronald Batt, der Autor des Buches „A History of Endometriosis“ (2011) charakterisierte in einem persönlichen Gespräch (2013) die Situation während seiner ärztlichen Tätigkeit in den USA wie folgt: „Im Zusammenhang mit der Endometriose spielte die Adenomyose in Forschung und Lehre sowie im klinischen Management keine Rolle“.

Folgerichtig führte die Abschwächung von Sampsons Theorie (alle Frauen haben eine retrograde Menstruation) vorwiegend von den USA ausgehend und sich von dort international ausbreitend zu der Auffassung, dass die peritoneale Endometriose eine eigenständige Erkrankung und zwar des Bauchraums sei. Es wurden diverse Hilfstheorien entwickelt u. a. die der Obstruktion des normalen menstruellen Abflusses mit Folge eines gesteigerten Rückflusses des Blutes in den Bauchraum, oder indem ein Immundefekt auf der Ebene des Bauchfells es nicht verhindere, dass in den Bauchraum geschwemmt Gewebe der Gebärmutterschleimhaut sich einnisten könne. Aber alle Hilfstheorien hatten die Gemeinsamkeit, dass die Theorie der retrograden Menstruation nicht in Frage gestellt wurde.

Eine forschungsgeschichtliche Zäsur wurde durch die Molekularbiologie eingeleitet, indem erkannt wurde, dass identische molekularbiologische Veränderungen im Endometriosegewebe auch im Endometrium der betroffenen Frauen, aber nicht im Endometrium gesunder Frauen anzutreffen sind. Eine möglicherweise primäre Erkrankung des Uterus, von Sampson und für weitere 70 Jahre von der internationalen Endometrioseforschung nicht in Erwägung gezogen bzw. komplett übersehen, war wieder oder auch neu in der Diskussion. Dieser neuen Vorstellung zufolge würde durch retrograde Menstruation verändertes Endometrium in den Bauchraum gelangen und dort Endometrioseherde bilden.

Wer sich heute auf einer wissenschaftliche Veranstaltung über die Endometriose informieren lassen möchte, dem wird eine verwirrende Anzahl von Theorien präsentiert, die einzeln oder auch in wechselnder Kombination der Endometriose zugrunde liegen sollen:

  • Endometriose entsteht durch retrograde Menstruation.
  • Endometriose entsteht durch Metaplasie.
  • Endometriose ist eine immunologische Erkrankung.
  • Endometriose ist eine genetische Erkrankung
  • Endometriose entsteht durch eine Veränderung des Stromazellen des Endometriums
  • Endometriose (peritoneale Endometriose) ist eine eigenständige Erkrankung des Bauchraums unbekannter Genese

Allerdings haben sich einige Autoren bereits wenige Jahre nach der Formulierung der Theorie der retrograden Menstruation normaler Endometriumszellen  (Sampson, 1927) kritisch mit ihr auseinander gesetzt. Dazu gehörten Counseller (1938) und Philipp und Huber (1939). Counseller beschrieb erneut nach Cullen (1920) das häufige Zusammentreffen von peritonealer Endometriose mit uteriner Adenomyose. Von beiden wurde der Begriff „Endometriose“ übernommen, aber die Vorstellung der Einnistung während der Menstruation abgestoßener Zellen der normalen Schleimhaut wurde insbesondere von Philipp und Huber (1939) abgelehnt. Diese Zellen galten diesen Autoren zufolge nicht als vital, sondern als abgestorben, wie mikroskopische Untersuchungen und Versuche der Zellkultur zeigten. Die normale retrograde Menstruation könne daher keine Endometriose im Bauchraum verursachen. Philipp und Huber fassten ihre Vorstellung 1939 in etwa wie folgt zusammen:

„Die Endometriose kann mit ihren Gewebecharakteristika, nämlich denen der Gebärmutterschleimhaut, an vielen Stellen des Körpers auftreten. Also muss sie einen gemeinsamen Ursprung haben. Und das ist offensichtlich  der Uterus. Wir nehmen aber an, dass sie tieferen, vitalen Gewebsschichten der Gebärmutterschleimhaut entstammen muss“

und sich von dort über die verschiedenen Wege ausbreitet, wobei die transtubare Transmission die häufigste und potentiell folgenschwerste Ausbreitungsform darstellt.

Diese, oben formulierte Sichtweisen (uterine Adenomyose und Endometriose bilden ein einheitliches Krankheitsbild; die Streuung des Gewebes erfolgt aus tieferen Schichten der uterinen Schleimhaut) sind heute wieder gültig bzw. bestätigt worden (Leyendecker et al., 2002).

Nach dem ersten Weltkrieg war eine globalisierte Welt und damit auch eine internationale wissenschaftliche Kommunikation zusammengebrochen. Hudelist und Mitarbeiter (2010) bedauern in ihrem Beitrag „The migrating adenomyoma“ in Fertility and Sterility, dass Sampsons (1927) Theorie nicht ausreichend international ausdiskutiert worden war.

Professor Samuel Yen von San Diagnose, zu seiner Zeit einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der weiblichen Reproduktion, erwiderte 2000 auf meine Aussage, dass ich mich mit der Endometriose befasse: „Yes, we are also unhappy with Sampson“. Nichtsdesowenigertrotz begann noch bis vor kurzem nahezu jede in Englisch publizierte Arbeit über die Endometriose mit der einleitenden Feststellung: Endometriosis is a disease caused by retrograde menstruation.

Von dieser Auffassung hat man sich zwar inzwischen weitgehend gelöst, nur um aber als neue Definition der Endometriose den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ einzuführen: Die peritoneale Endometriose ist danach eine chronische entzündliche Erkrankung („a chronic inflammatory disease“.) Diese Aussage ist im Prinzip nicht falsch, aber so allgemein, dass sie in keiner Weise eine Erklärung der Erkrankung darstellt. Der Grund für diese im Prinzip ausweichende Definition ist offensichtlich: Es wurde sehr viel Material (Gewebeproben aus dem Bauchraum und der Gebärmutterschleimhaut) gesammelt und zum Zweck der wissenschaftlichen Untersuchung kryokonserviert, aber es liegen wahrscheinlich keine oder nur bruchstückhafte Daten über die genaue Anamnese der Patientinnen und wahrscheinlich keine oder wenige Daten hinsichtlich des Vorliegens einer Adenomyose vor. Deshalb wird häufig die derzeit plausibelste Theorie nicht beim Namen genannt. Dies ist die Theorie

Der Verletzung der Archimetra durch die Kontraktilität und Hyperkontraktilität der Muskulatur des Uterus im Reproduktionsprozess

Der Uterus wurde lange Zeit als ruhendes Organ angesehen, welches nur bei der Geburt biomechanisch aktiv würde. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: während des ganzen menstruellen Zyklus ist der Uterus muskulär, also biomechanisch höchst aktiv. Die innerste Muskelschicht, das Archimyometrium, führt andauernd Kontraktionswellen durch, die den Samen in den Eileiter auf der Seite des Eisprungs transportieren sollen. In den ersten zehn Jahren nach der ersten Regelblutung führt diese Muskelschicht

 5 - 10 Million Kontraktionswellen

durch. Die Kontraktionen des großen Uterusmuskels, des Stratum vasculare uteri, führen am Ende des Zyklus zur Ausstoßung der abgestorbenen Schleimhaut. In den ersten zehn Jahren nach der Menarche treten etwa

130 bis 150 Tausend dieser Kontraktionen

auf. Es ist die gleiche Muskelschicht, die auch bei der Geburt aktiv wird. Die Gebärmutter ist also währende der ganzen Phase der Fortpflanzungsfähigkeit der Frau biomenchanisch aktiv. Dies ist eine chronische Belastung des Organs Uterus, wie sie z.B. beim Skelett- (z. B. Überbelastung durch extremen Sport) und Kreislaufsystem (Bluthochdruck) auftreten und zur Arthrose bzw. zur Arteriosklerose führen können.

Das ist der Grund, weswegen 70 – 80 % aller Frauen in der Prämenopause eine Adenomyosis uteri (und auch eine Endometriose) aufweisen. Die Adenomyosis uteri stellt mit ihrem Beschwerdebild, Schmerzen und irreguläre uterine Blutungen, die häufigste Indikation zur Hysterektomie dar.

Diese uterine Kontraktionstätigkeit kann einigen jungen Frauen stark bis extrem  gesteigert sein. Diese von Anfang an bestehenden verstärkten Kontraktionen können als Menstruationsschmerzen empfunden werden. Es sind dies die primären Dysmenorrhoen unterschiedlicher Schweregrade, unter denen 30-50% aller junger Frauen leiden.

Abbildung 2: Die Kontraktionsfrequenz (Frequenz der peristaltischen Wellen zum Samentransport) ist bei Frauen mit Endometriose im ganzen Zyklus eröht (aus Leyendecker et al., 1996)

 

 

Mädchen und junge Frauen mit primärer Dysmenorrhoe stellen ein Risikokollektiv für die Entwicklung einer Archimetrose (uterine Adenomyose und (peritoneale) Endometriose) dar. 

Infolge einer verstärkten Kontraktilität der muskulären Schichten des nicht schwangeren Uterus kommt es während des menstruellen Zyklus zu einer chronischen Selbstverletzung (Autotraumatisierung) des Uterus auf der Ebene der endometrial-myometrialen Junktion bzw. des basalen Endometriums vorwiegend im Bereich der oberen uterinen Medianlinie der Uterusvorder- und .-hinterwand, der sog. fundo-cornualen Raphe als oberer Fusionsbereich der beiden Müllerschen Gänge. Die verstärkte Kontraktilität betrifft gleichzeitig das Archimyometrium und beeinträchtigt den gerichteten Spermientransport in die sog. dominante Tube sowie das Stratum vasculare der Neometra mit der Folge von verstärkten  menstruellen Kontraktionen zur Externalisierung des menstruellen Debris, die als primäre Dysmenorrhoen in Erscheinung treten.

Die chronische Autotraumatisierung führt menstruell und eventuell auch perimenstruell zu einer Desquamation von Fragmenten basalen Endometriums. Dies wird bei Frauen ohne Archimetrose  nicht beobachtet. Die Verletzung setzt zelluläre und molekularbiologische Prozesse der Wundheilung in Gang.

Abbildung 3: Schematische Darstellung der archimetralen Kompression durch die Neometra (oben). Coronare und frontale Darstellung des Uterus einer Frau mit extremer Dysmenorrhoe mit der Ausbildung einer deutlichen Verbreiterung der ‚Junktional-Zone’ im Bereich der Uterusvorderwand sowie einer zystischen Tubenwinkelendometriose (modifiziert aus: Leyendecker et al., 2015)

 

 

Im Zuge der Wundheilung durch Makrophagen wird zunächst der TIAR-Prozess aktiviert, der zu einer lokalen Produktion und parakrinen Wirkung von Estradiol führt. Es findet also eine Transformation von endometrialen Stromazellen in solche mit dem Potential der kompletten Steroidogenese von Cholesterin zu Estradiol statt.

Estradiol bindet an den Estradiolrezeptor-Beta  (ER-beta). Dadurch wird der basale morphogenetische Komplex aktiviert. Dieser besteht aus dem ERß, dem Chemokin CXCL12 und dem auf der Oberfläche von mesenchymalen Stammzellen (MSC) exprimierten Rezeptor CXCR4. Dadurch kommt es zu einer Attraktion von MSC im Wundgebiet, die dann lokal als archimetrale Stammzellen (ASC) zu einer Proliferation von endometrialen Stammzellen und durch stroma-epitheliale Transformation und fibromuskuläre Metaplasie zu neuem archimetralen Gewebe führt mit der Bildung aberarranter Müllerscher Strukturen, die in der Uteruswand unter Verwendung der bisher gebräuchlichen Terminologie als fokale oder diffusen uterine Adenomyosen bekannt. Hierbei wird VEGF und CyR61 zur Förderung der Neovaskulogenese exprimiert.

Aus diesem uterinen Wundgebiet in der endometrialen Basalis können Zellen und Gewebsfragmente durch transtubare Transmission in den Peritonealraum oder lymphogen in die Körperperipherie gelangen und bilden dort Herde mit archimetraler Gewebsstruktur. Die peritoneale Archimetrose (Endometriose) ist hierbei die klinisch bedeutendste Ausbreitungsform.

Junge Frauen mit primärer Dysmenorrhoe sind langjährigen klinischen Erkenntnissen zufolge zunächst hochfertil. Die bei chronischer biomechanischischer Irritation mit einer variablen Latenz erfolgende Destruktion archimetraler Strukturen kann zu einer Einschränkung der Fertilität bis zur irreversiblen Sterilität bei diesen Frauen führen.

Dies betrifft nicht nur die Spontankonzeption, sondern auch die Schwangerschafts- und Geburtenrate nach Assistierten Reproduktion.

Es ist daher ein wissenschaftliches und medizinisches Forschungsdesiderat erster Ordnung, Methoden der Früherkennung bei Frauen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko zu entwickeln, um der Progression der biomechanischen Destruktion in einem sehr frühen Stadium entgegenzuwirken.

Wir hatten bereits 1998 aufgrund experimenteller, anamnestischer und klinischer Hinweise postuliert, dass die peritoneale Archimetrose (Endometriose) eine Erkrankung der Archimetra sei. Dieses Konzept hatten bereits Philipp und Huber (1939) im Ansatz formuliert, indem diese prinzipiell im ganzen Körper in Erscheinung tretende Erkrankung einen zentralen Ausgangspunkt haben müsse Dieser sei in den „tieferen Schichten“ des Endometriums zu suchen. Von uns wurde dieser zentrale Ausgangspunkt als Ort der biomechanischen Verletzung der endometrial-myometrialen Junktion identifiziert.

Abbildung 4: Die gesteigerte Kontraktilität (Hyperkontraktilität) führt zu Verletzungen des Bindegewebes zwischen Schleimhaut und Muskulatur (sog. endometrial-myometriale Junktion), also zu einer Wunde. Deshalb haben Frauen mit einer Endometriose/Adenomyose auch prä- und postmenstruelle Schmierblutungen. Während die Wunde bei chronischer Belastung wuchert und sich eine Adenomyose entwickelt, können vitale Zellen aus der tiefen Schicht der Schleimhaut, der Basalis, in den Bauchraum gelangen, dort implantieren und eine peritoneale Endometriose entwickeln.

 

Der Test zur Früherkennung der Archimetrose nutzt in Konsequenz die Bestimmung molekularbiologischer Marker der Wundheilung und Gewebsproliferation im Menstrualblut der Frauen mit primärer Dysmenorrhoe. Die molekularbiologischen Prozesse der Wundheilung sind nicht organ-spezifisch. Durch Bestimmung der Parameter im Menstrualblut des Risikokollektivs wird allerdings eine hohe Erkrankungsspezifität erzielt.

Das Prinzip eines Vorsorge- bzw. Früherkennungstest besteht in dem Nachweis eines positiven oder negativen Testresultates. Da etwa 50% aller jungen Frauen unter einer primäre Dysmenorrhoe leiden, wird der Test in etwa zwei Drittel aller Fälle mit primärer Dysmenorrhoe negativ sein, also ohne Nachweis von Komponenten des basalen morphologischen Komplexes, z. b. CXCL12. Je schwerer allerdings die Dysmenorrhoe ist, desto häufiger wird er positiv ausfallen.

Abbildung 5: Endometriose/Adenomyose (Archimetrose).

A: Der Uterus verletzt sich selbst (Autotraumatisierung) durch seine biomechanischen Funktionen. Aber auch durch eine nicht sachgerecht durchgeführte Kurettage (Interruptio, Abortkurettage, Kurettage bei Plazantaretention) kann eine solche Traumatisierung erfolgen (iatrogene Traumatisierung).

B. Einsetzen eines nicht organ-spezifischen Mechanismus der Wundheilung (Tissue Injury and Repair, TIAR; Leyendecker et al., 2009). Die lokalen Bindegewebszellen in jeder Wunde (hier die Stromazellen des Endometriums) werden durch das Trauma in Zellen umgewandelt, die lokal Estrogene produzieren. Über einen molekularbiologischen Mechanismus, der Zytokine und Chemokine aktiviert, werden mesenchymale Knochenmarksstammzellen im Wundgebiet angreichert, die als

C: endometriale oder archimetrale Stammzellen die chronischen paramesonephrischen Proliferationen (Archimetrose) verursachen (uterine Adenomyose; peritoneale Endometriose; periphere Endometriose).

 

Iatrogene Adenomyose

Bereits Robert Meyer wies 1930 darauf hin, dass unsachgemäß durchgeführte Kurettagen zu einer Adenomyose führen können (iatrogen=durch ärztlichen Eingriff verursacht) und damit auch nach transtubarer Streuung zur peritonealen Endometriose. Nach Kindermann (1988) ist die Möglichkeit der Induzierung einer Adenomyose sehr gering, wenn es sich um eine rein diagnostische uterine Kurettage (Ausschabung der Gebärmutterhöhle) handelt. Schwangerschaftsunterbrechungen (Interruptiones), die mittels einer Kurettage durchgeführt wurden oder Kurettagen bei spontaner Fehlgeburt bergen ein höheres Risiko der Entstehung einer Adenomyose. Auch andere uterine Eingriffe können zu einer Adenomyose führen z. B. die operative Entfernung eines Uterusseptums (Abbildung 5)

Bei iatrogenen Adenomyosen, inbesonders bei solchen nach Spontanschwangerschaft (Abortkurettage; Interruptio), liegt in de5r Regel keine primäre Dysmenorrhoe vor, da die Traumatiserung nicht durch eine uterine Hyperkontraktilität, sondern durch den ärztlichen Eingriff verursacht wurde.

Abbildung 6: Adenomoyisis uteri nach operativer Entfernung Uterusseptums

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